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3 Nordmar & Varant

VARANT

Heißes Pflaster, kalte Dusche

Wie der Kampf um Macht die Einwohner Varants in Angst und Schrecken bringt und der Zorn der Natur den Hochmut der Menschen straft.

Es war ein Tag, so unglaublich, dass selbst die Kindeskinder derer, die diese Katastrophe überlebten, es nicht glauben können werden. Abdesinar Faq’atush, Wasserhändler in Bakaresh, der blühenden Handelsmetropole im Osten der Wüste, war einer derer, die dem Tod ins Angesicht sahen.
„Ali und ich standen wie immer bei den Ruinen, denn dort brauchen die Sklaven, die für die Artefaktjäger arbeiten, immer besonders viel Wasser“, berichtet uns der 38-Jährige aufgebracht, „Und da sag ich zu Ali: ‚Ali!‘, sag ich, ‚hol den verdammten Wassernachschub!‘ Und Ali, der freche kleine Bastard, schreit zurück ‚Aber da kommt so viel Wasser, dass sie unseres nicht brauchen werden.‘ Ich nehme mein Messer und werfe es dem kleinen Burschen hinterher – ja, wir haben viel Spaß, Ali und ich – aber als er sich immer noch weigert, schau ich selbst nach, und bei Beliar, da starre ich einer Wasserwand entgegen, dreimal – nein, was sage ich? – fünfmal so hoch wie die Kasbah, mögen unsere Herren den Vergleich verzeihen. Da sind wir gerannt, was wir konnten, und haben uns irgendwie auf eines der Häuser gerettet, die der Flutwelle standgehalten haben.“

Erschreckende Ereignisse, die auch alle anderen Küstenstädte Varants trafen. So gab es massive Zerstörungen der Hafenanlagen in Bakaresh und dem unter Kontrolle der Orks stehenden Dorf Lago. Al Shedim wurde gänzlich überflutet und die gesamte Stadt hinfort gerissen, so sagt man, und zuverlässige Quellen behaupten, nur wer sich in den dortigen, Adanos geweihten Tempel retten konnte, überlebte (aber wen interessieren schon Nomaden und Wassermagier?). Was aber war die Ursache für diese Zerstörungswut? Ein Kampf der Götter, wie manche Stimmen behaupten? Die Rache Beliars für den Sittenverfall, der in den Städten Einzug gehalten hatte, oder vielleicht doch der letzte und verzweifelte Versuch von Adanos, Beliars Vormarsch wie in alten Zeiten aufzuhalten? Die Wahl der Waffe, eine alles zerstörende Flut, würde dafür sprechen, so wie Erzählungen des altertümlichen Varants und der antiken Tempelanlagen bei Jharkendar auf Khorinis es belegen. Doch betrachten wir die Ereignisse der vergangenen Monde genauer.

Die seltsamen Ereignisse begannen, als Braga, das Tor zur Wüste, im Sommer des zu Ende gegangenen Jahres in Flammen stand. Unter Zubens Banner wurden umgehend Bemühungen angestellt, die Stadt wieder aufzubauen, doch schien der Vorfall auch die alte Bissigkeit Zubens, des Löwen, erneut geweckt zu haben, bei dem manch scharfe Zunge in vergangenen Jahren bereits behauptet hatte, die alten Zähne seien nach und nach gezogen. Mit einem gewaltigen Angriff zerstörte er die Verteidigung des alten Bundes, einer reorganisierten assassinischen Splitterorganisation, die vor einigen Jahren die Unabhängigkeit Bakareshs ausgerufen hatte, und fiel in die Stadt ein. Auch den lästigen Bewohnern Al Shedims zeigte er mit einem kleinen Aufräumkommando, das ein Blutbad unter den Nomaden anrichtete, dass Gegenwehr nutzlos ist, woraufhin sich der getroffene Schwarm aus seinem Nest begab und in alle Winde verteilte. Der erste Diener Beliars war wieder oben auf und herrschte erneut beinahe über die gesamte Wüste. Umso wahrscheinlicher ist es, dass die Flut ein kläglicher Versuch Adanos‘ ist, die unvermeidliche Entwicklung zu stoppen. Zu dumm, dass sich Beliar und seine Anhänger von einem bisschen Wasser nicht aufhalten lassen.
Dennoch bleibt ein Restrisiko, dass andere Ursachen für die Wellen des Todes verantwortlich sind. Von der wahnwitzigen Idee, ein brennender Berg im Ozean habe dieses Chaos angerichtet, wie es hier und da gerufen wird, möchten wir uns gänzlich distanzieren. Unbestätigten Quellen zufolge jedoch sollen die Rädelsführer des alten Bundes bei der Einnahme Bakareshs entkommen sein. Vielleicht war all das nur ein Vorgeschmack dessen, was der Handelsmetropole am Ostzipfel Varants bevorsteht. Vielleicht handelte es sich auch um erzürnte Meeresdämonen, die sich der zunehmenden Überfischung in Küstennähe erwehrten. Und was hat eine mysteriöse Verbindung namens Schwarze Faust damit zu tun? Die Zukunft wird es uns zeigen.
„Mit einem aber hatte der Junge doch Recht“, sagt Abdesinar Faq’atush, „die Sklaven brauchen jetzt kein Wasser mehr. Hahahahaha!“
(-- Maris)
AUFRUHR IN BAKARESH

Aus dem geschäftigen Bakaresh, der Perle von Ostvarant künden seit einiger Zeit wunderliche Gerüchte von Aufruhr und Umwälzung. Der Myrtanische Bote hat weder Kosten noch Mühen gescheut, um seine Leser über die Vorgänge in diesem merkwürdigen Flecke des fernen Varants zu unterrichten. Wissen wir doch, daß gerade die Berichte aus dem märchenhaften heißen Süden viele unserer Leser, denen an Zerstreuung gelegen ist, besonders interessieren.

Wir haben deswegen mit einigen profunden Kennern der politischen Lage gesprochen. So ließ sich der Hohepriester Sinistro höchstpersönlich dazu herab, mit uns ein Gespräch zu führen. Sicher hat die werte Leserschaft schon so manches von den Anhängern des finsteren Beliar vernommen. Einiges davon mag wahr sein, anderes vielleicht auch nicht. Doch was mir von dem erwähnten Sinistro berichtet wurde, darf zweifellos zur ersten Sorte gerechnet werden, stammt es doch direkt von einem Beteiligten. Weiterhin hatten wir die Gelegenheit, uns mit einem der angesehensten Assassinen Bakareshs zu unterhalten. Er nennt sich Berash und überraschte uns vortrefflich durch sein plötzliches Erscheinen aus den Schatten der Hauswände der Stadt.

Die Vorgänge im Kastell

„Die Magier wurden aus dem Kastell herauskatapultiert“, stellte der Hohepriester klar und beschrieb es so deutlich, wie man es einem Magier kaum zugetraut hätte: „Jedem einzelnen wurde bildlich gesprochen ein Tritt in den Hintern verpaßt.“ Betrübt bekannt er, daß die genauen Umstände noch nicht genau geklärt seien. Er habe sogar selbst mit einer Kreatur namens Schattendämon gesprochen - dabei muß es sich nach Meinung des Myrtanischen Boten um irgendeine finstere Inkarnation eines beliarischen Höllenwesens handeln - und in diesem Gespräch erfahren, daß der dunkle Gott seine Anhänger verstoßen hatte, weil sie ihm nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit schenkten.
Schon daraus ersieht man, liebe Leser, was für ein kleinlicher und rachsüchtiger Gott dieser Beliar ist. Die Vorwürfe an seine Anhänger, die bislang in einem düsteren Kastell oberhalb Bakareshs hausten, laufen laut Sinistro daraus hinaus, daß sie, also die „Anhänger des dunklen Gottes, ihn für schwach und menschlich angesehen haben, ihn mit dem gleichgesetzt haben, was Zuben als Beliars Intentionen angibt.“ Und weiter: „Diese Umstände haben den dunklen Gott allem Anschein nach so sehr verärgert, daß er den Magiern des Zirkels um Xardas ihre Heimat nahm - und viel wichtiger, er nahm ihnen ebenso sein bis dato größtes Geschenk an die lebende Menschheit, die Bibliothek.“
Allerdings soll das Kastell mittlerweile wieder frei zugänglich sein und die ersten Magier haben offenbar den Weg zurück zu Beliar gefunden und ihren Glaubenszwist überwunden. Ein Magier namens Hüter soll zur erneuten Öffnung des Kastells einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet haben. Sicher führen die Schwarzmagier dort nun ihre finsteren Praktiken fort.

Zuben erobert Bakaresh!

Doch dies sind nicht die einzigen Geschehnisse in Bakaresh, die berichtenswert erscheinen. Zuben, der Herrscher über den größten Teil Varants hat vor wenigen Wochen auch Bakaresh eingenommen und die ihm abtrünnigen Assassinen aus der Stadt vertrieben. (Gerüchte sprechen von einem mysteriösen „Alten Bund“ dieser Assassinen.) Selbst zum Kastell der Schwarzmagier versuchte er, Zugang zu erlangen - dort allerdings vergeblich. Beliar scheint äußerst wählerisch, was seine Lieblinge angeht. Auch in Bakaresh selbst scheint sich der Widerstand gegen den Usurpator zu regen. „Zuben ist ein großer und mächtiger Mann und Gegner, der sicherlich nicht zu unterschätzen ist, doch formt sich auf den Straßen Widerstand, ebenso wie ich davon ausgehe, daß wir noch nicht alles gesehen haben, wozu der Alte Bund im Stande ist- sofern sich die Gerüchte seiner Existenz bestätigen sollten“, schätzt Hohepriester Sinistro die derzeitige Lage ein.

Berash, einer der hochrangigsten Assassinen der Stadt geruhte ebenfalls, mit uns zu sprechen. Seine Beurteilung des gegenwärtigen Zustandes klingt recht optimistisch: „Die Assassinen Bakareshs sehen Zuben als Unterdrücker. Dementsprechend gibt es natürlich auch Widerstand gegen den unrechtmäßigen Besatzer der Kasbah.
Schon vor ein paar Jahren sorgten die Assassinen mit Hilfe der Magier des Kastells dafür, daß Zubens Diener aus der Stadt verschwanden. Und dies wird auch wieder geschehen.“
Tatsächlich scheinen auch Gründe für diesen Optimismus zu existieren. Berash führte weiter aus: „Wir haben noch einen Trumpf in der Hand. Eine kleine Gruppe hat sich aufgemacht um ein wertvolles Artefakt zu finden, welches den Kampf zwischen den Assassinen Bakareshs und Zuben zu unseren Gunsten entscheiden wird.“
Doch Hohepriester Sinistro warnt auch vor Leichtfertigkeit. Man merke zwar, daß es in der Stadt unter der Bevölkerung brodele, doch die Mischung von Erwartungen und Forderungen der unterschiedlichen Fraktionen berge auch Gefahr. „Vielleicht wird die Situation eskalieren und dann mag Bakaresh erneut brennen“, führte Sinistro seine Gedanken für uns weiter aus. „Vielleicht gelingt es Zuben, immer mehr Menschen auf seine Seite zu ziehen, dann denke ich, daß sich die Situation in Bakaresh beruhigen wird. Das jedoch ist eine Frage der Diplomatie.“ Und er schließt mit der Warnung: „Und wie wir beide wissen, ist der Löwe von Ishtar nicht gerade für deine Fähigkeiten bekannt, diplomatisch zu sein, er haut gerne und oft auf den Putz, wirbelt mit Worten herum und läßt um so häufiger Taten folgen, die in keinerlei Verhältnis zur Ursache stehen.“

Was die übrige Bevölkerung Bakareshs angeht, scheint ein kompliziertes Geflecht von Meinungen und Mutmaßungen vorzuherrschen. Hohepriester Sinistro befand, daß „die Menschen in der Stadt nicht recht zu wissen scheinen, inwieweit sie sich mit Zuben anfreunden können oder nicht.“ Manche der Händler würden mit der Machtübernahme durch Zuben ein besseres Geschäft wittern, „andere jedoch fühlen sich ihrer Existenz und Freiheit beraubt“. Der Assassine Berash urteilte ganz ähnlich im Gespräch mit dem Myrtanischen Boten: „Die Händler hängen ihr Fähnchen in den Wind. Solange sie ihre Geschäfte weiter führen dürfen, ist es den meisten von ihnen egal, wer sich als Herrscher der Stadt ausgibt. Nur dürften sie die Zahlungen an Zuben ein wenig mürrisch gemacht haben, denn schließlich will auch er ein Stück vom Kuchen, wie man so schön sagt.“ Sprachs und verschwand wieder im Schatten, um irgendwelchen Plänen nachzugehen.
(-- Dumak)

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