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03 Nordmar und Varant

VARANT

Am Ende

Am Ende steht nichts mehr, was zu sagen bleibt. Alles ist darnieder geschrieben worden. Die Worte, die uns bewegten, stehen bereits auf vergilbten Seiten, bereit, Erinnerungen zu hinterlassen, die zu Legenden werden, die zu bloßen Mythen verblassen, wenn die Welt in vielen Äonen auf sie zurückblickt, und eines Tages ganz vergessen sind.

Dies ist das letzte Zeugnis der alten Welt, die überleben wird, aber nie wieder so sein wird, wie sie dereinst begann. Ein natürlicher Lauf, mag man meinen, doch die Trauer und das Bedauern, dass zu Ende geht, was uns so lange bewegte, bleiben. Vielleicht nur eine kurze Zeit, vielleicht nie wirklich in uns allen bewusst. Vielleicht nur in einer kleinen Minderheit, die Varant nach all den Jahren etwas abgewinnen konnte. Der Verlust ist jedoch unbestreitbar.

Meine Schritte dieser Tage werden müde, als ahnen sie es. Sie führen mich in die Tiefen des dunklen Kastells, wo die Diebesbande, Rekhyt, Illdor und Dennik, in Begleitung des Landstreichers Rethus, ihren Weg zu erkämpfen suchen, der Gefangenschaft des Kastells zu entkommen. Am Anfang war es nur eine Idee, dort einzusteigen, wo es scheinbar nicht möglich sei. Sie kamen in dem besten Gewissen, bloß ihrer Leidenschaft zu folgen, und erkannten nicht die Gefahr, die jenes blinde Streben für sie bereit hielt.
Es sollte ein Kelch sein, ein kostbarer Schatz, doch die Wächter dieses Ortes, Dämonen, die nach Schwefel stinken und wie den Kopf zu bersten bewegen wollen, wann immer sie dem Drang nachgeben, sich mit den Menschen zu unterhalten, verfolgten sie und warfen sie in Katakomben. Dort ereilte sich das Jüngste Gericht, gespeist durch den Willen des Hüters, abgehalten von Lucia von der Berg, einstige Begleiterin der Diebesbande.
Ein Stück von Verrat, zerbrochener Liebe, vergangener Leidenschaft und der Erkenntnis des dunklen Gottes gebar sich vor meinen Augen. Die Ratten Bakaresh ereilte die vermeintlich gerechte Strafe, verkündet von der Adeligen Lucia, geübt im Verrat an ihren Freunden. Und als ob dies nicht genug wäre, weitere Tage in den Katakomben zu verweilen, tastete ihr Geist nach den Grenzen der Grausamkeit. Einen, Illdor, ihren ehemaligen Geliebten, ließ sie frei, dass er sein Leid in jener Freiheit fand. Rethus dagegen sperrte sie zu den Ratten, Rekhyt sollte sich selbst einen Weg hinaus suchen, gepeinigt von den Gefahren der Katakomben doch am Ende vor allem von der Seele eines anderen Mannes, Gath, mit dem sich ein Dämon, der auf den seltsamen Namen Kud Tuencen reagierte, einen Spaß erlaubte.

Als ob dies nicht genug wäre, verurteilte sie Dennik dazu, zu sterben. Im Thronsaal des finsteren Hauses wurde ihm durch das jüngste Mitglied des Kastells, Vryce, ehemaliger Mentor des kleinen Diebes, das Herz herausgeschnitten, um es Beliar zu opfern. Jener hingegen ließ den Dieb überleben, gewährte ihm eine weitere Chance durch die Hand des Hüters. Doch ist dies Gnade, wenn man die schlimmsten Schmerzen auf Erden in einem einzigen Augenblick verlebt, um am Ende sein Leben weiterführen zu können, fortan in dem Bewusstsein, dass der Tod doch zu fürchten ist und jeder kleine Schritt, so unbedeutend er in der Idee, aus der er sich speist, ist, ihm jenen näher bringt?

Meine Augen wenden sich, nachdem der Hüter Lucia für ihren Verrat an den alten Bekannten eine letzte Prüfung auferlegte und sie zur Magierin weite. Ich ertrage es nicht länger, diesem dunklen Mann zu folgen, ertrug es kaum, zusehen zu müssen, wie die Adelige gezwungen wird, Brot zu Essen, dass in das Blut Denniks getaucht worden ist – ein Symbol für den Sieg der Frau über ihre Vergangenheit oder bloße Perversion? – und suche nach der Gerechtigkeit in den schwarzen Mauern.

Irgendwo gammelt die alte Jail in einem finsteren Loch. Irgendwo liegt der alte Cephas in seinem Leid erstarrt auf einem Tisch und wartet auf Hilfe. Meine Blicke wandern durch die dunklen Hallen, erblicken eine rothaarige Frau, die bei dem neugierigen Ceron die Heillehre erfährt, und ich schaue ihnen interessiert eine Weile über die Schulter. Sie kümmern sich um Calidor, einen jungen, blonden Burschen, der von der Liebe zu einem Dieb wie vom Feuer verzehrt wird. Ein Diener Innos‘ auf einer Bahre im Kastell, am Leben erhalten von dem Willen eines Hohepriesters der dunklen Mächte und einer Dame des Gleichgewichts, Melaine.

Dieser Hort ist Muße, Inspiration und Ekel und Furcht zugleich, muss ich ein weiteres Mal feststellen und beglückwünsche ihn zu jenem grotesken Gleichgewicht, dass selbst Adanos gefallen hätte, während ich durch das große Tor hinaus nach Bakaresh trete.


Im Sand der ewigen Wüste liegt die heroische Stadt, die es gewohnt ist, aus der Asche aufzusteigen, erneut am Boden, geschliffen vom Gott des Feuers und seinen Dienern, vernichtet ein weiteres Mal, ohne zu sterben. Die Mauern klagen noch das Leid, welches ihnen widerfahren ist, doch das Wissen darum, dass sie sich ein weiteres Mal erheben wird, brennt sich wie eine Feuerbrunst durch die Straßen. Das Reich Rhobar des Dritten scheint keine Grenzen zu kennen und in seinem Hunger nach Macht bricht der neue König zu fernen Landen, den südlichen Inseln auf.
An seiner Seite steht General Lee, Söldnerboss einer ganzen Horde von grimmig dreinblickenden Männern, die es nur für Geld zu tun scheinen. Gilt solchen Menschen Ehre und Pflicht etwas?

Vor wenigen Tagen noch, so erfahre ich von einem kleinen Jungen, der auf den Straßen dieser plötzlich so kalten, grauen Stadt ziellos herumläuft, erfreuten sich die Bewohner an einem großen Turnier, in dem der ehemalige Emir selbst den Endkampf gegen den Hexer Trilo bestritt. Es war ein Feuerwerk ungewöhnlicher Talente, der Schattenmimik und der Hexermagie, an dessen Ende die Arena in einem großen Knall gebrochen worden ist und die Kontrahenten sich bewusstlos am Boden wiederfanden. Ein Kampf ohne Sieger.

Wie es mit dem Wetter in den grüneren Regionen dieser Welt nicht beständig gleich sein kann, scheint sich auch jene Wüstenmetropole trotz der immer gleichen, brennenden Sonne, die man, wenn man hier länger verweilt, kaum noch als lästig empfindet, auf das gebären des beständigen Wechsels versteift zu haben. Vor wenigen Monaten war es noch Zuben gewesen, dann kehrte der Alte Bund meisterhaft auf seinen Posten zurück und noch bevor das Jahr sein Ende fand, liegt Bakaresh zu Füßen der Paladine und Feuermagier, verlassen von den Assassinen, verraten von seinem einstigen Emir Berash, der sich feige in den Schatten verzogen hat.

Oh du einstige Blüte des Südens, Perle der Wüste, Schatz der Ideologien, was bleibt von dir am Ende? Wirst du bloß ein unbedeutendes Stück eines Reiches sein, dass an seiner Expansionsgeschwindigkeit zerbrechen wird, weil der König nicht fähig ist, weise auch einen Blick zurück zu werfen und zu festigen, was er angerichtet hat? Oder wirst du wieder strahlen, so wie an dem Tag, an dem ich mein Herz an dich verlor?

Es neigt sich alles dereinst dem Ende entgegen. Und wenn wir dann wirklich vor ihm stehen, es miterleben, ohne es begreifen zu können, sind wir ratlos, hilflos und fühlen uns verloren. Wir stehen mit offenem Mund da, schauen ihm nach, wenn es längst schon weitergezogen ist, und wissen nichts mehr zu sagen, außer, wie schön das war, was nun nicht mehr sein soll…

Ihr in den Erinnerungen schwelgender Berichterstatter aus dem Kastell und Bakaresh.

(--Ardescion)

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