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04 Schatzkästchen

Zwei Mann in einem Boot

Geehrte Leser,
in den Ferien geht so mancher einer beliebten Freizeitbeschäftigung nach. In diesem Punkt machen die Stadtwächter Thorniaras für sich keine Ausnahme und so begleiten wir Hauptmann Silothar und seinen Getreuen Calan auf einen ihrer Fischzüge.
In dieser lehrreichen Geschichte werden uns auf untypische Weise die Gefahren der Fischerei und eine ganze Anzahl universell Anwendbarer Lebensweisheiten eindringlich näher gebracht. Zudem streifen die beiden durch die in den Küstengewässern Thorniaras heimischen Fauna von M wie Mehlwurm, über S wie Spamferkel, bis B wie Begossener Pudel.
Freuen wir uns auf eine spannende, kurzweilige maritime Rundreise durch die Gedankenwelt der myrtanischen Ordnungshüter, voller epischer Kämpfe, furchterregender Gefahren und nicht existenter Speisekammern.
Viel Vergnügen beim Lesen.

Yared

Anmerkung:
Die folgende Postserie ist in Orthographie und Artikulation genauso wiedergegeben, wie sie im RPG in den Thread „Auf dem Meer #8“ gepostet wurde. Allein die Formatierung mag minimal abweichen.


Von Silothar, 22.07.2011

„Au! Verdammter Dreck!“, fluchte Silohtar. Soeben hatte er sich zum vierzehnten Mal in den Daumen gestochen, doch davon ließ er sich freilich nicht abschrecken, es wieder zu versuchen. Auch nicht davon, dass der Angelhaken blutverschmiert war und sich der Köder, ein sich windender Wurm, offensichtlich über ihn lustig machte.
„Wirf schon mal das Netz aus, dann haben wir wenigstens das schon mal erledigt“, trug er seinem Gefährten auf, der mit hohem Schwung das Netz ins Meer versenkte. Puh, es scheint dass ich mich zum Glück nicht wieder ausversehen darin eingewickelt, schloss er aus dem Umstand, nicht auf einmal im Meer zu paddeln wie ein begossener Pudel.
„Aua!“ Auch nach zwei Wochen täglicher Angelausflüge mit seinem Schützling, die meist bis spät abends andauerten und von höchstens spärlichem Erfolg gekrönt waren, hatte er den Dreh nicht heraus. An sämtlichen Wurstfingern seiner linken Hand waren frische und halb verheilte Wunden, wo er sich mit dem rostigen Haken gepiekst hatte.
„Du hast das Netz an der Leine angebunden, nicht wahr?“, fragte er beiläufig. Ihm gingen langsam die Ausreden aus, frische Netze von den ansässigen Fischern zu beschlagnahmen. „AU!“
Wütend hatte er den Haken in den Wurm rammen wollen und dabei seinen Daumen aufgespießt. Ein Rinnsal floss über seine Hand und tropfte hinunter in den Eimer mit den Ködern. Es zischte leise, die Würmer zappelten hektisch. Erschrocken sprang Silohtar auf die Füße.
„Oh Nein... sie haben Blut geschmeckt! Mach, dass es aufhört! Ah!“ Er tänzelte in dem Ruderboot umher und riss Calan in seiner Panik mit. Ein Fußtritt beförderte den Eimer schließlich über Bord. Erleichtert ließ sich der Hauptmann auf die Ruderbank plumpsen. „Gefahr: Gebannt!“

Eine geschwungene Rückenflosse glitt leise und unbemerkt auf die sich um die Köder tummelnden Fische zu.


Von Calan, 22.07.2011

Was wohl passiert wäre, wenn sie die Würmer nicht gestoppt hätten? Wohl dasselbe, dass mit einem Hund passierte, vor dessen Schnauze man einen Stock wegwarf. Uralte, schlummernde Instinkte wären geweckt worden, hätten den sprichwörtlichen Wolf im Mops geweckt. Die blutdurstige Bestie, die in jedem einzelnen Mehlwurm lauerte. Wenn sie sich winden würden und im Kollektiv auf die beiden unbescholtenen Angler losgehen würden. Der Eimer wäre kein Problem, mit ihren scharfen, monströsen Zähnen wäre er schneller verschwunden als ein leckeres Stück Holz in einem Hügel ausgehungerter Termiten.
Erst jetzt wurde ihnen klar, in welcher Todesgefahr sie tatsächlich geschwebt hatten. Sie hatten instinktiv Panik bekommen und Silo sie schließlich gerettet, doch erst jetzt wurde ihm das ganze Ausmaß der Katastrophe klar, die ihnen gedroht hätte. Tagelang hätten sie auf dem Meer treiben können, vielleicht sogar Jahrelang. Und die Fischer hätten sich eine Sage erzählt, von zwei Gerippen, die seit Äonen in einer kleinen Schaluppe über die Meere zogen als wären sie erst gestern gestorben. Und nichts sonst war auf dem Boot zu finden, als ein Eimer voll unschuldiger Mehlwürmer. Das war tatsächlich der Schiff aus dem Seemannsgarn gesponnen war.

„Puh, das war knapp.“ meinte Calan, als sein Atem wieder flacher ging und sein Puls sich beruhigt hatte.
„Mordsmäßig knapp. Jetzt weiß ich, warum die Fischerei langsam ausstirbt. Diese Gefahren sind indiskutabel. Niemand sollte sich bei seiner Arbeit der Gefahr eines hungrigen Wurms ausliefern. Da werd ich doch lieber Großwildjä...“
Das ‚ger’ blieb dem Varanter im Halse stecken, als ihr kleines Bötchen wackelte und zu kentern drohte. Einem Blick ins Meer, das in diesem Falle eher Auffangbehälter für die Erzeugnisse seekranker Stadtwächter war, zeigte den gewaltigen Rücken eines Tieres, das knapp über der Wasseroberfläche schwamm.
„Oh schau mal, ein Guppy!“ rief Calan freudig und dachte an das Aquarium, das er nie hatte.


Von Silothar, 22.07.2011

„Guppy? Klingt ja witzig“, fand Silo, und packte seine Angelrute mit beiden Händen. Da keine Köder mehr da waren, ließ er sie einfach weg. Schließlich sah der rostige Haken allein schon verdammt appetitlich aus.
„Das wird unser erster großer Fang, das sag’ ich dir!“, frohlockte er, schwang die Rute zweihändig über den Kopf und ließ den haken samt Leine auf die Wasseroberfläche platschen.
„Jetzt heißt es abwarten.“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Finger vor seinem voluminösen Bauch. Calan tat es ihm gleich und machte es sich bequem. Gestern hatten sie herausgefunden, dass man die Chance auf einen Fang deutlich verbesserte, wenn man nicht wie zuvor über der Reling hing, und die Beute mit dem Lockruf „Fischi Fischi Fischi!“ anzulocken versuchte. Also entspannten sie sich. Das Netz hatten beide in der ganzen Aufregung völlig vergessen, bis –
„Argh!“ Silohtar wurde nach hinten gezogen und klammerte sich nun mit beiden Händen am Böötchen fest. Offensichtlich hatte Calan die Leine mit Netz am anderen Ende zur sicheren Befestigung um seinen Stiefel gebunden.
„Zieh mich rein, zieh mich rein!“, brüllte der Hauptmann. Ein halbes duzend weiterer Rückenflossen war aufgetaucht und gemeinsam drehten die Rückenflossentiere ihre Runden um das Fischerboot ...


Von Calan, 22.07.2011

„Die sind bestimmt ganz brav und wollen nur spielen. Guppys sind Freunde! Sowas wie Hunde, nur nasser. Die würden dich bestimmt aus dem Wasser ziehen und dich auf ihrem Rücken zum Ufer schwimmen, wo gerade eine wunderschöne Jungfrau badet, dich rettet und unsterblich in dich verliebt!“
Es war nicht ganz einfach, in Anbetracht der gefletschten Zähne des Guppys dran zu glauben. Doch auch Hunde hatten scharfe Zähne und waren doch die beste Freunde des Menschen.
„Uff, bist du dick!“ ächzte Calan, als er Silos pummeligen Arm ergriff und seine Füße gegen die Bordswand stemmte. Das Bötchen hatte inzwischen ein lustige Schieflage, die die Fachleute ‚kurz vorm Kentern’ nennen.
„Halte aus!“ rief der Stadtwächter und zerrte weiter am Arm Silohtars und zog diesen Millimeter für Millimeter ins Boot, das schließlich mit einem platschen wieder gerade dalag.
[I]„Pfui! Böser Guppy!“
rief Calan und streckte tadelnd den Zeigefinger über die Bordswand und hätte sich fast von ihm verabschieden können, als ein Guppy mit weit aufgesperrten Maul daran vorbeiflog und etwas desillusioniert wieder ins Wasser platschte.
Der Varanter betrachtete seinen Finger, als sähe er ihn gerade das erste Mal, dann legte sich ein Schalter in seinem Kopf um. Fröhliche Zuneigung gegenüber den Fischleins wandelte sich in abgrundtiefe Abneigung, um nicht zu sagen Hass.
Er stand auf, brüllte und riss sich das Hemd vom Leib. Sein Adoniskörper funkelte im strahlenden Sonnenlicht, als hätte er sich geölt. Tatsächlich hatte er das, da er so hoffte Windschnittigkeit und Aerodynamik zu erhöhen.
„Das! Bedeutet! KRYYYYG!“ schrie Calan und packte nach einer Angelrute, die er wie einen Speer über seinen Kopf schwang.


Von Silothar, 22.07.2011

„Wurde auch Zeit!“, bedankte sich Silohtar höflich bei seinem Schüler. „Sag mal, hast du unsere Speere eingepackt?“
Natürlich hatte er das. Was passierte, wenn man seinen Speer vergaß hatte er dem Varanter schließlich zur Genüge (und teilweise schmerzhaft) eingehämmert. Es dauerte allerdings, bis die Waffen gefunden waren, denn Silohtar hatte bei den Angelausflügen gerne einige Nascherein dabei, um bei Kräften zu bleiben. Sie hatten ein kleines logistisches Problem zu lösen, denn die Speere waren unglücklicherweise unter den Ruderbänken, was bedeutete, dass sie sich zuerst durch Trockenfleisch, eingelegte Gurken, frische Gurken, getrocknete Tomaten, ein Spamferkel und eine Auswahl Salzstangen wühlen mussten. Bei dem Boot handelte es sich, so viel dem Hauptmann nun viel zu spät auf, um eine klare Fehlkonstruktion. Die Speisekammer war einfach weg gelassen worden und durch nichts ersetzt!
„Hilf mir mal“, ächzte der Soldat, eine gewaltige Kupferwanne über die Reling stemmend. Für den Fang. Und als alternative, sollte das Boot lecken. Oder gar ein Loch haben. Beides konnte und wollte er keinesfalls ertragen müssen.
„Was zum Henker ist das?! Eine Harpune? Was soll ich denn damit?!“, fuhr er seinen Schüler an, um sich rasch nach seinem Besen umzusehen. Sein Blick fiel auf den langen Stab und das spitze (anstatt borstige) Ende. Ließen sich seine einstudierten Bewegungen auf das Teil hier möglicherweise übertragen?
„Hau ruck!“ Sein erster Versuch traf glatt ins Schwarze. Er nickte zufrieden und zog an der Leine, die am Ende der Harpune befestigt war. Leider zog diese zurück.
„Rette mich“, rief er schrill, dann wurde er von dem „Guppy“ ins Wasser gezogen. „Ich kann nicht schwimmen! Mein letzter Snack ist weniger als dreißig Minuten her!“

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