06 Interview Alchemie



Während das alte Jahr nun langsam aber doch sicher seinem Ende entgegen geht, hat der Myrtanische Bote jetzt schon einen Vorsatz für das nächste parat – oder besser, jemanden, der gerne einigen der werten Leser einen ans Herz legen würde. Denn aus den Tiefen der Wälder Süd-Argaans, die um diese Jahreszeit einen, noch, farbenfrohen Anblick zu bieten haben sollten, hat sich die wahre Identität einer jungen, experimentierfreudigen Alchimisten dazu bereit erklärt, uns über ihr Schaffen an den seltsam anmutenden Reagenzgläsern und mit allerlei Flüssigem gefüllten Erlenmeyerkolben aufzuklären.

Turang: Ich bedanke mich bereits im Vornherein für das Gespräch. Kannst du bitte kurz erklären, was für ein Charakter Leyla ist?

Leyla: Leyla entspricht eigentlich so gar nicht dem Bild, das man klischeehaft vom alten, zerstreuten, seltsamen Alchemisten hat, bei dem man zu jedem Moment Angst haben muss, dass er gleich seinen Turm in die Luft sprengt. Aber von Klischees versuchen wir vermutlich fast alle unsere Chars loszulösen.
Sie ist eine junge Frau manchmal noch kindlichen Verhaltens, die im Waldvolk ihr Zuhause gefunden hat und dort seit vielen Jahren primär als Heilerin arbeitet; sich aber in jeder freien Minute, die sie nicht mit ihrem Liebsten Thorwyn auf Reisen oder mit zunehmender Faulenzerei verbringt, der Alchemie hingibt, um Herumzuprobieren, zu Verbessern oder - wenn vorhanden - Aufträge abzuarbeiten. Nebenbei ist sie eine recht begabte Bogenschützin und Jägerin, hat über die Jahre alle Stufen der Druidenmagie gelernt und gemeistert. Aufgrund ihres jungen Alters hatte ich aber bisher nicht das Bestreben, sie zur klassischen Druidin zu entwickeln. Als Heilerin und Alchemistin macht sie sich eigentlich recht gut und ist auch gern und viel in der Natur unterwegs, nicht zuletzt, weil sie sich als Kind des Waldes sieht: sie wurde in den Wäldern geboren und ist dort aufgewachsen - kurz: ganz und gar naturverliebt.

Turang: Das RPG distanziert sich ja in gewisser Weise vom typischen Bild der Alchemie, die Unsterblichkeit zu erlangen und Blei in Gold zu verwandeln. Welche Arten der Alchemie sind es, die von Leyla praktiziert werden?

Leyla: Da hast du recht, die verbreiteten Leitbilder der Alchemie sind hier im RPG praktisch ungültig. Metallveredlung? Stein der Weisen? Ewiges Leben? Ein Mittel, um sämtliche Krankheiten zu heilen? Nichts dergleichen ist mir bisher unter gekommen, obwohl die Geschichte zum Beispiel mehrere sicher erwiesene Fälle der Transmutation eines unedlen Metalls in Gold kennt. Wir würden hier also gar nicht mal so sehr den Fantasyaspekt unseres RPGs strapazieren, sondern lediglich historischen Vorbildern folgen. Wobei natürlich auch in der Geschichte lange nicht jeder Alchemist diese Ziele verfolgte. Da unser Alchemie-Skill an den Heilungsskill gebunden ist, sind die meisten der RPG-Alchemisten sicherlich mit einfachen Heilungstränken, Giften und ähnlichen Mitteln an die Alchemie gekommen, so auch Leyla.
Beim Brauen von Tränken ist sie zum überwiegenden Teil geblieben, allerdings eher, um damit gezielt Einfluss auf Körper und Geist zu nehmen. Man könnte es wohl recht gut mit dem Alchemiepart von The Witcher vergleichen: Geschärfte Sinne, verbesserte Reflexe, Konzentrations- und Beruhigungsmittel (z.B. gegen Aufregung), Aufputschmittel, ein Mittel, das den eigenen Körpergeruch so manipuliert, das bestimmte Tiere davon angezogen oder abgestoßen werden und so weiter. Vor einiger Zeit hat sie aber z.B. auch mal einen Taschenwärmer hergestellt. Ich suche selbst immer wieder nach neuen Anregungen, um eigentlich sehr praktische Dinge ins RPG zu bringen, ohne dabei die historischen und wissenschaftlichen Grenzen, die wir uns ja mehr oder weniger gesteckt haben, überzustrapazieren.

Turang: Du sprichst von selbstgesteckten Grenzen, kannst du noch ein wenig näher erläutern, wo für einen Alchimisten die Grenze zwischen neuen Denkanstößen und problematischen Ausuferungen verläuft?

Leyla: Dazu muss man sich wohl ein wenig die Entwicklung der (modernen) Chemie anschauen, deren Erkenntnisse in großen Teilen als alchemistische Neben- oder Folgeprodukte entstanden. Ein Alchemist wusste in mittelalterlichen Zeiten durchaus um die Eigenschaften von Schwefel oder Salpeter, war im Bilde darüber, was geschah, wenn er letzteren in Wasser löste und wie er sich seine sauren Eigenschaften zu Nutze machte. Destillationen, die Gewinnung einzelner Substanzen aus pflanzlichem Material und all solche Dinge müssen auch unseren Alchemisten keine Geheimnisse sein. Man kannte einige Dutzend chemische Elemente und Verbindung beim Namen, nutzte sie und ihre Eigenschaften mehr oder minder intensiv.
Alles, was aber auf einen großen technischen oder energetischen Aufwand hinführt, würde ich nur mit Vorsicht anfassen. Sicherlich könnte man mithilfe von Magie einiges erklären und bewirken, vor allem unsere Feuermagier könnten ungeheure Temperaturen entfalten und vielleicht sogar Experimente mit Strom wagen. Nur wollen wir so etwas im RPG wirklich haben? Sprengstoff und alles damit in Verbindung stehende wurde bewusst aus dem RPG herausgehalten und ich denke auch aus (al)chemi(sti)scher Sicht tut ein gesunder Menschenverstand gut, wenn man seinen Char schon ans große Experimentieren heranentwickelt.

Turang: Ich denke nahezu jeder, der schon einmal den ersten Teil der Gothic-Serie durchgespielt hat, kennt das Bild von Nefarius, wie er seinen eigenen Ärmel versehentlich in Brand setzt. Wie sieht es im RPG mit dem Fehlschlag eines Experimentes als neuer Poststoff aus?

Leyla: Nun, Leyla versucht immer sehr vorsichtig an die Sache heranzugehen und Tränke neigen glücklicherweise auch nur selten dazu, in Flammen aufzugehen. Nichtsdestotrotz lasse ich eigentlich fast grundsätzlich nichts Neues auf Anhieb gelingen, sondern probiere gerne eine Weile herum und versuche, das auch einigermaßen detailliert zu beposten. Bei mir sind neu gewonnene Substanzen gern mal zu schwach, verunreinigt, einige stinken abstoßend, andere reagieren mit noch anderen, obwohl daraus eigentlich ein super praktisches Gemisch entstehen sollte ... - und nicht zuletzt gibt es für Tränke ja auch immer noch die Testphase, wo sich das ganze erst einmal bewähren sollte. Mangels großer Auswahl an Versuchskaninchen gibt's da z.B. bei einem neuen Beruhigungsmittel mal eine unbeabsichtigte Mütze Schlaf, während im Hintergrund noch der Kessel über dem Feuer hängt.

Turang: Wo liegt denn für Leyla der Reiz an der Alchimie und welchen Charakteren würdest du den Alchimie-Skill ans Herz legen?

Leyla: Der Reiz ist die Experimentierfreude, Abwechslung zum oft eher eintönigen Heiler-Alltag, Ablenkung von den Sorgen und Leiden Anderer. Das soll jetzt nicht danach klingen, dass sie ungern ihrer Haupttätigkeit nachgeht, im Gegenteil: Leyla lebt quasi für die Heilung, aber gleichwohl immer mehr auch für die Alchemie. Erst seit der Umstellung komme ich wirklich dazu, richtig intensiv Alchemie zu beposten und dank der Naturvielfalt Argaans birgt die Spielwelt auch eine ungeheure Masse unentdeckter Pflanzen und Tiere, deren Gifte (denn nichts anderes sind die meisten Naturstoffe) so ziemlich alles bereithalten können. In unserer echten Welt hier werden die meisten pflanzlichen Heilstoffe nach wie vor aus einer verschwindend geringen Zahl von Pflanzen gewonnen (es sind meinem Wissen nach gerade mal 40), während wir zugleich Jahr für Jahr Unmengen an Pflanzen durch die Abholzung der (Regen)Wälder vernichten.
Pflanzen, deren Gifte potentielle Heiler von Krankheiten sind, die wir bis heute nur schwer in den Griff bekommen. Denn anders als Tiere können Pflanzen nicht weglaufen, sie mussten in ihrer evolutionären Geschichte Abwehrstoffe bilden, die der Mensch sich eigentlich hervorragend zu Nutze machen könnte.
Der Skill ist also grundsätzlich für jeden etwas, der ein bisschen Experimentierfreude mitbringt. Ich habe hier sehr wahrscheinlich auch nur einen Teil der potentiellen Möglichkeiten genannt, ich spezialisiere mich einfach sehr auf die naturbezogenen Aspekte der Alchemie. Durch die Bindung an den Heilungsskill ist das aber auch nur naheliegend.

Turang: Würdest du sagen, dass der Alchimieskill besonders für die Druiden des Waldvolkes geeignet ist, die ja vom Gildenkonzept her den leichtesten Zugang zu allerhand verschiedenen Pflanzen haben sollten, oder denkst du, dass der Skill für jeden gewitzten Magier eine Chance bietet?

Leyla: Ich denke, jeder Magiezweig hat einen erleichterten Zugang zu einer eigenen Spezialisierung. Wie oben schon angesprochen würde ich als Feuermagier wohl sehr viel mehr mit großer Hitze arbeiten und einem Schwarzmagier würde ich durchaus zutrauen, sich Leichen oder Untote auf den Tisch zu holen und darin nach brauchbaren Substanzen zu suchen.

Turang: Gibt es vielleicht noch etwas, dass du dem Leser zur Alchimie oder ganz allgemein noch mit auf den Weg geben möchtest?

Leyla: Ich wünsche mir sehr viel mehr Kunden, freue mich über jedes freiwillige Versuchskaninchen und empfehle jedem, einfach mal mit einem gern auch ausgefallenem Wunsch zum Alchemisten seines Vertrauens zu gehen. Wir sind ein von den Kunden sehr vernachlässigter Handwerkerzweig!