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04 Schatzkästchen

Von Lugdrub, 27.03.2011

Hauptraum der Knochenbrecherhöhle

„Wer das seien?“
„Lugdrub gro-Ogdum, Häuptling!“
„Kind der Felsen? Hihihi“

Der einstige Schamane trat hinter Shug und Ghut vor, ließ die goldenen Augen finster aufblitzen und blickte von den varrags der Knochenbrecher zu deren Häuptling, einem großen, kräftigen Ork. Das Fell wirkte wie das seiner Schamanen. Dunkel, angegraut, irgendwie stumpf ohne kraftlos. Die Muskeln, die sich jedoch darunter bewegten, sprachen Bände. Ebenso der mächtige Streitkolben mit langem Holzgriff. Die vielen Stacheln, die den Kopf der Waffe zierten, vermochten sicherlich jeden noch so widerstandsfähigen Schädel mit einem Hieb zu zertrümmern.
„Seid gegrüßt, Kriegshäuptling“, sprach Lugdrub in akkurater Orksprache, verneigte sich vor dem Häuptling, wie es sich schon immer in der Kultur der Orks gehört. Egal wer der Häuptling ist, egal wie viele Oraks ihm treu sind … es gilt der Häuptlingswürde an sich Respekt entgegen zu bringen. „Ich komme vom Land im Westen.“
Der Häuptling beugte sich in seinem in Fels geschlagenen, primitiven Thron vor, blinzelte den Nordlande-Ork an. „Du nicht seien von hier, das man sehen gleich. Du kommen von Nordlande. Und du seien hier fremd. Das du wissen sollst.“, sprach er in besser Art und Weise als seine beiden Schamanen. „Ich sein Magrokh. Seien Häuptling von Knochenbrecher. Seien der, der Menschenschädels nimmt und damit Thron schmückt. Du sehen? Hier, das seien von Ezornmensch. Und das da von Mensch in Silberrüstung aus Norden. Seien aber nicht von mir getötet, sondern von Vater. Trotzdem mein, weil ich sein Blut!“, rief er stolz aus. Die beiden Schamanen stimmten rufend ein, klopften sich wie wild auf die Brust. „Aber, Lugdrub, was du wollen hier? Was seien dein Grund für Herkommen? Du seien Botschafter von große Land im Westen?“
„Ich … nein. Ich bin kein Botschafter. Unser Reich im Westen ist gefallen, das Imperium von Kan, ebenso die freien orkischen Städte von Myrtana. Selbst die Nordlande sind dem Chaos anheim gefallen. Die Menschen … sie … besiegen uns, wie schon zuvor. Ich bin hier auf der Suche nach einer neuen Heimat, weil ich nicht bis ans Ende der Welt vor ihnen flüchten will. Ich suche eine Möglichkeit, mich an ihnen zu rächen … für meinen Meister.“
Kushluk. Der Panther. Tot. Da war sich Lugdrub sicher. Er konnte nicht überlebt haben. Wenn, dann saß er nun bei den Menschen im Kerker, irgendwo zwischen Fäkalien, Ratten und Unrat. Nein. Lugdrub wusste es. Kushluk war tot.
Es dauerte einen Moment, als Magrokh versuchte, die Worte des einstigen Schamanen zu verstehen. Als er sie verinnerlicht hatte, nickte er. Erst langsam, dann schneller, entschlossener.
„Zwei Dinge, Ork von Westen. Du seien Feigling. Du hättest mit Meister sterben sollen, Seite an Seite! Aber du wollen rächen Meister, das dich also machen zu Ork, der Name reinwaschen will. Das dir geben Ehre, Lugdrub. Du können leben bei uns, du können essen und trinken und jagen mit uns. Du können sein Knochenbrecher wie Magrokh, Shut oder Ghut. Was du halten davon?“, fragte der Häuptling, nachdem er geendet hatte. Einen Moment breitete sich Stille in der Haupthöhle aus. Man sah, dass der frühere varrag mit dem Gedanken rang.
„Magrokh Grash-Khaz!“, brüllte Lugdrub auf, während er sich die letzten Fetzen der Robe herunterriss und mit ihnen die Gedanken an die vergangene Zeit, die ihren Untergang auf den Schlachtfeldern Myrtanas gefunden hatte. Er war nicht mehr der Schamane der Kaste, der Norlande-Ork, der ein Erwählter Krushaks war. Nein, von jetzt an war er Lugdrub, der Knochenbrecher.
„Magrokh Grash-Khaz!“, brüllte er nun mit den Schamanen im Chor.
Magrohk, der große Schattenläufer.
Lugdrubs neuer Häuptling.


Von Lugdrub, 27.03.2011

Höhle der Knochenbrecher

„Du bekommen sofort Aufgabe, Lugdrub, denn du dich müssen beweisen!“
Der Ork blickte auf, sah Shug und Ghut an, die beide vor ihm standen, während er sich seine kleine Wohnnische in der Schlafhöhle besah. Sie gefiel ihm. Sie sprach den Ur-Ork in ihm an, dieses instinktgesteuerte Biest mit Krallen und Fangzähnen, das den Menschen im Ersten Krieg noch wie ein unintelligentes Raubtier vorgekommen war. Ja ja, dachte er sich, das waren sicherlich noch unbeschwerte Zeiten. Aber er wurde prompt von den Worten der beiden Knochenbrecher aus den Gedanken gerissen.
„Wie? Eine Aufgabe? Mich beweisen?“ – Er verzog da Gesicht – „Ich dachte, ich gehöre schon zum Knochenbrecherstamm!“, zischte er finster und funkelte seine beiden ‚Lebensretter’ an. Dann glätteten sich seine Züge ein wenig. Was erwartete er? Er hatte es mit überaus primitiven Orks zu tun, die in Sachen Ehre noch schlimmer waren als so manch ein Ork damals in Faring. „Na gut, anders geht’s wohl nicht. Was soll ich machen, Oraks?“
„Du sollen gehen auf Jagd“, begann Shug.
„Mit Jägern von Stamm!“, vervollständigte Ghut.
„Auf Bären in kleinem Talkessel!“, intonierten sie gemeinsam.
Lugdrub unterdrückte mühevoll einen Seufzer, ehe er sich bewusst wurde, was sie ihm da gerade gesagt hatten. Er – ein einstiger Schamane, der seine Magie verloren hatte – sollte den Jägern des Stammes bei der Bärenjagd in den Bergen helfen? Sicherlich mit bloßen Händen, unbewaffnet, ungerüstet. Ja, Ehre durch Verkrüppelung.
„Krushak …“, murmelte er, „Und wie, so ganz ohne Waffen und Rüstung?“, fragte er.
„Du spielen Lockvogel. Du rennen in Höhle, ärgern Bärenmutter und rennen raus.“
„Bär dir folgen und Jäger machen Bär tot.“
„Unglaublich raffinierter Plan“, murmelte der Nordländer und zwang sich zu einem Lächeln.
„Du grinsen weil aufgeregt? Reise gleich gehen los. Magrokh wollen, dass du Erster seien. Er sagen, weil du kommen von Berge, du sie kennen auch gut. Du also finden Weg zu Bärenhöhle mit Jägern. Du locken Bär und Jäger machen ihn tot. Du so zeigen, das du wertvoll für Knochenbrecherstamm!“, erklärte Ghut noch einmal die Sachlage, die Lugdrub schon längst verständlich war. Dieses Mal seufzte er.
„Na gut, dann brechen wir sofort auf.“
Nicht mal fünf Minuten später stand er auch schon am Ausgang der Höhle, an der nur zwei Fackeln die Dunkelheit lichteten. Fünf Knochenbrecherorks standen dort bereit. Mit blanken Pfoten. Kein Schuhwerk. Bis auf einen Lendenschurz nicht bekleidet. In den Händen primitive Holzspeere, Knüppel und Streitkolben ähnlich denen des Häuptlings, nur kleiner und weniger prächtig. Diese Jäger waren ein Anblick, über den sich die Orks des Festlandes köstlich amüsiert hätten.
„Grüßt euch, Oraks.“, sprach er und nickte den Jägern zu. Sie nickten zurück, grüßten ebenso, auch wenn ihnen das Wort orak nicht geläufig war. Oder zumindest nicht wirklich bekannt. Ein letztes Mal drehte er sich zu den Schamanen um, die im Höhleneingang standen und die Truppe zufrieden musterten.
„Seien beste Jäger von Clan, Lugdrub! Seien stolz zu reisen mit solchen Knochenbrecher.“
„Natürlich“, sprach der Nordländer sarkastisch. Das verstanden die Knochenbrecher wohl nicht. Sarkasmus war ihnen ebenso wenig geläufig. Er seufzte. „Gibt es zumindest eine kleine Hilfe, die Höhle zu finden?“
„Nehmen Warg aus Zwinger. Seien gute Tiere und finden jeden Weg.“
„Warg … Krushak“, murmelte er, „Okay, dann mal auf.“


Von Lugdrub, 27.03.2011

Talkessel in den Bergen

Ein schönes Tier.
Der Warg zog wie wild an dem langen Lederriemen, der die Leine darstellte. Es war zähes Leder, so dass selbst die Kraft dieser majestätischen Kreaturen ihnen nicht viel anhaben konnte. Das schwarze, glänzende Fell schimmerte im Mondeslicht, welches hier bei den Bergen schien und die Umgebung wie in Quecksilber tauchte. Zufrieden klopfte der Ork dem Tier auf die Flanke, spürte die raue Haut unter dem glatten, weichen Fell. Das Wolfsgeschöpf wandte den Kopf, sah ihn aus roten Augen an. Das Maul war geöffnet, die Zunge hing seitlich heraus und ein ständiges Hecheln drang aus der Kehle.
„Hast du eine Spur, mein Kleiner?“, fragte Lugdrub, obwohl er sicher war, dass die Kreatur ihn nicht verstand. Er brauchte aber keine Antwort. So wie der Warg zog, hatte er eine Spur gefunden. Heiß darauf hatten die Jäger ihn mit einigen Büscheln Bärenhaar gemacht, dass von der Höhlenmutter des Talkessels stammte. Sie hatten ihrem nordländischen Bruder davon erzählt, wie die erste Jagd ein Desaster geworden war. Die Bärin hatte fürchterlich gewütet, hatte drei Jäger der Knochenbrecher einfach zerschlagen. Seit der letzten Jagd waren zwei Monde vergangen.
„Na, gutes Mädchen“, sprach der Tierführer und lächelte das Wargweibchen an, klopfte ihr erneut auf die Flanke. Der Pass schien sich langsam zu lichten und zu verbreitern. Es dauerte nur noch wenige Minuten, da standen Ork und Warg am Hang des kleinen Talkessels, der vielleicht einen Durchmesser von etwa zweihundert Metern hatte. Im Lichte des Mondes erkannte man sogar noch den Schlund an der gegenüberliegenden Seite der Talsohle. Sie markierte den Bau der Bären. „Sehr gutes Mädchen, wirklich, sehr gut.“, sprach er erneut, nahm das Stück rohes Fleisch, welches ihm der Zwingerhüter mitgegeben hatte, und warf es dem Weibchen zu. Gierig verschlang das Tier es, blickte abwartend hoch, wartete auf einen Nachschlag, ehe es sich besann und auf die Hinterläufe setzte.
„Los, warten wir auf die Jungs. Und dann … geht’s rund.“, murmelte Lugdrub und blickte wieder hinab in den mondbeschienenen Talkessel. Bärenjagd. Wie damals in Nordmar. Ein melancholisches Lächeln zierte einen Moment die Züge des Orkes, ehe sie wieder ernst wurden.

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