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Von Jarvo

Jenen Abend, wie viele Abende zuvor, hatte die Sumpflilie unzählige Geschichten zu erzählen. Von einer wilden Jagd zur nächsten, über einen Plünderung eines Dorfes im Nebel, zu der Höchstzahl an Liegestützen, die eines Manneskraft herbrachte, war die Luft von Übertriebenheit und Selbstüberschätzung geschwängert. Doch dem nicht allzu naiven Zuhörer konnte dies mehr Spaß bereiten, als so manch dröge Runde, die sich mit manchmal tristen Realität des Jägerlebens auseinandersetze. Mit einem Schwenken des Armes brachte Jarvo den kohlesäure-armen Inhalt seines Humpens dazu, in einem letzten Wirbel zu zirkulieren, bevor er ihn zügig herunterschluckte.
Mit einem Fingerzeig verabschiedete er sich und trat heraus ins Freie, wo ihn die herrlich frische Luft begrüßte. Ein paar Schritte, und die vom Sitzen steif gewordenen Glieder gewannen an Geschmeidigkeit zurück. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und wünschte sich einen Schluck Wasser, um den bierigen Geschmack in seinem Mund zu übertünchen.
„Na, wo soll’s hingehen?“, frage eine Stimme aus dem Halbdunkeln. Die dazugehörige Person trat in Jarvo’s Sichtfeld und lächelte ihn auf eine zu freundliche Art und Weise an.
„Nach einem guten Bier und lebhaften Abend ist es nicht verkehrt, den Körper mit einer Mütze Schlaf zu belohnen, oder nicht?“ Der Waldläuferführer lächelte zurück und wandte sich von ihm ab.
„Sagt man das so, ja? Ich hab gehört, dass ein kräftiger Faustschlag auch beim Schlafen hilft.“
Mit einem Lachen drehte Jarvo sich zurück und besah den Kerl genauer. Er war ihm keine Gegner.
„Den muss ich mir merken, ja wirklich! Gute Nacht dann.“ Er winkte dem Fremden zu und drehte sich erneut um.
„Warte, Mann! Nicht so schnell.“
Der Fremde war nicht mehr alleine. Zwei weitere Gestalten standen zwischen Jarvo und seiner Bettruhe. Eine Prügelei? Hier in Schwarzwasser? DAS hätte er nicht für möglich gehalten.
„Die Stege sind hart und rutschig, mein Freunde“, sagte Jarvo. „Passt auf, dass ihr euch hier nichts brecht, das soll schon vorgekommen sein.“
Es half nichts. Der Mann zu seiner Rechten sind wortlos zum Angriff über. Mit kurzen Schritten stürmte er auf ihn zu und wollte seine riesigen Arme um ihn schlingen, als wolle er ihn zerdrücken. Ein schneller Gegenschlag mit der offenen Hand ließ den Angreifer jedoch innehalten, bevor sein Gesicht von der Wucht von Jarvos Rechten nach hinten geschleudert wurde.
„Eins!“, sagte er.
Der andere Möchtegernheld aus dem Dunkeln trat hervor und kreiste seine Schultern, als würde ihn das gefährlicher aussehen lassen. Die Hakennase und die spärliche Kopfbehaarung taten jedoch ihr Übriges. Er tänzelte vorwärt, sprang nach hinten und arbeitete sich wieder nach vorne. Seine Hände tanzten einen wilden Takt und schlugen schnell Richtung Jarvos Kopf. Dieser sprang nach hinten, wiegte seinen Körper nach rechts und links und bot dem Angreifer so kein Ziel. Einen viel zu vorhersehbarer Schwinger fing Jarvo ab, verdrehte ihm das Handgelenk und schwang seine Faust wie einen mächtigen Hammer seitlich an die Schläfe des Faustkämpfers.
„Zwei“, sagte er, als der bewusstlose Körper zu Boden glitt.
Der anfänglich so gesprächige Fremde blickte verunsichert drein. Er rannte auf Jarvo zu und bekam ihm am Mantel zu fassen. Jarvos Stiefel grub sich sogleich in dessen Magengrube, sodass er luftringend nach hinten taumelte.
„Ich verstehe nicht, wie man so dumm sein kann, ehrlich. Kein Alkohol auf der Welt entschuldigt dies.“
Vom Lärm angelockt, rannten von fern drei Wächter auf ihn zu. Der Fremde riss panisch seinen Kopf herum. Blitzschnell stürmte Jarvo nach vorne, packte ihn am Hals und grub seine Fingerkuppen hinter dessen Schlüsselbein. Der Mann stieß einen Schrei aus, der aber augenblicklich ins Stocken kam, als Jarvo’s Finger sich eher um seinen Hals schlossen.
„Ich verstehe dich nicht, mein Freund. Du bist nicht betrunken genug für so einen Blödsinn. Wie auch immer diese Schnapsidee in deinen Kopf gekommen ist… es war nicht dein hellster Moment. Ich will dein Gesicht hier nie wieder in Schwarzwasser sehen. Für Menschen wie dich ist hier kein Platz“, zischte er und stieß ihn auf den Boden. Die Wächter waren angekommen und hielten ihre Speere anschlagsbereit.
„Nehmt die drei, schmeisst sie aus der Stadt. Doch erst lasst sie ein paar Mal spüren, wie hart das Holz eines Speeres ist. In Schwarzwasser gibt es keine Überfälle, das darf niemand hier in Frage stellen.“
Die Hitze des Moments verwandelte sich in Wut, jedoch kontrollierte Jarvo sein Inneres. Den Zwang, seine Faust gegen eine Hüttenwand zu donnern oder seiner Wut sinnlos Wort zu machen, unterdrückte er. Kontrolliert war seine Atmung erst, als er das Obergeschoss des Baumes erreicht hatte. Die Mütze Schlaf allerdings, ließ lange auf sich warten.