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03 Nordmar und Varant

VARANT

Geneigte Leserinnen und Leser,
die Welt ist groß und sie ist weit. Viel zu weit, um sie als Ganzes zu kennen und zu begreifen. Wir können den Spuren einzelner Menschen folgen, versuchen, ihre vermeintlichen Intentionen und das aus ihnen gewonnene Handeln zu verstehen. Es wird uns nicht gelingen, denn wir kratzen bloß an der Oberfläche jener Menschen, unfähig, ihre Gedanken zu lesen. Und selbst wenn uns dies möglich wäre, so bliebe uns der Ursprung jener Gedanken verschlossen - das, was den Menschen wahrlich ausmacht.

Und wie die Kraft, die den Menschen im Innersten bewegt, uns verschlossen bleibt, so potenziert sich der Strom tausender Leben einer Welt zu einer Fülle von Unbekannten, die uns schier verzweifeln lassen müsste… Außer wir ignorierten sie, blieben ihnen fern und kümmerten uns nur um die eigenen Belange… wie arm… lassen sie mich Ihnen helfen, sich selbst zu helfen, mit den frischesten, noch immer glühenden, sowie längst vergangenen Taten der Menschen in Bakaresh und dem Kastell. Lassen Sie sich von den Fäden verzaubern, dessen Netz Sie erst am Ende als Ganzes gewahr werden.


Anschlag auf die Goldmünze

Es war seine dunkelste Stunde. Trunken von der Gier nach Rache und starken Alkoholika wankte der Barde Reotas durch die Straßen Bakareshs, geifernd, seinen mitnichten durchexerzierten, perfiden Plan, dessen er sich wenigstens schon einige Augenblicke bewusst war, in die Tat umzusetzen.

Stunden zuvor noch hat man ihn in der Stadt gesehen, das Geld ausgebend, welches er mit in die Metropole der Wüste gebracht hatte, sicherlich hoffend, ein feines Leben in einer derart belebten Stadt führen zu können. Er gab sich großzügig, feilschte kaum mit dem Händler und nahm die Preise nicht selten als gegeben an.
Dass er einen Hund mit sich führte, einen kleinen Welpen, der auf den Namen Faquarl hörte, zeigt deutlich, in welche Unschuld er sich kleiden wollte, nicht damit rechnend, dass seine jugendliche Naivität und dem damit verbundenen Gerechtigkeitsbewusstsein bereits eine andere Gangart anschlugen.

Stolpernd wankte er durch die Nacht, gekränkt durch die Demütigung, die ihm der Besitzer des Edelbordells Goldmünze, Rottingham, hat zukommen lassen, einfach nur dadurch, dass er sich gab, wie er war. Dieser Tagedieb, dieser Heuchler, dieser Verbrecher. Man kann die Wut verstehen, die in dem jungen Reotas kochte, nun, da er die blanke Lust des Etablissements mit eigenen Augen gesehen hatte und der ersten zaghaften Berührung der Scham verfallen war.

Durchtrieben, wie nur ein Siebzehnjähriger sein kann, schnappte er sich eine Melone und warf sie durch eines der offenstehenden Fenster der Goldmünze. Gar schlimm fluchten die Gäste, kreischten die Damen und erzitterte der Besitzer vor Wut. Recht geschah es dem Biest nun betrunken gegen eine Hauswand zu stolpern und betäubt zu Boden zu sinken.


Begegnung im Zwielicht

Lassen Sie sich nicht täuschen von dem strahlenden Licht der Sonne, dass in seiner Weisheit die dunkelste Stadt Varants erleuchtet und das Gold der Händler und Assassine erstrahlen lässt, dass es noch üppiger wirkt, als es wahrhaftig ist. Doch wer will schon an der Illusion jenes Reichtums zweifeln?

Sicherlich nicht der Barde KARhaBs, Liebling der Witwe N’Ojeri, durchtriebener Spießgeselle eines gar meisterhaft dekadenten Schauspiel, dass selbst die blutleersten Wangen des Vengarder Adels noch etwas über schockierende Blässe zu lehren hätte.
So begab sich in der strahlenden Stadt, dass der alte Bauer Cephas sich um sein wertvollstes Amulett betrogen sah, zeternd seine Wut seinem einzigen Diener Logan feilbot, welcher sie gierig zu schlucken verstand und KARhaBs, in seiner Vollendung, hinzu trat, das Spiel zu beginnen. Denn er besaß, was Cephas verlor und lockte ihn doch unter dem Angebot der Hilfe, den wahren Täter zu finden, in das Haus seiner Geliebten, ein Gespräch zu führen, was die Intention des Alten bezüglich des Amulettes aufzudecken zum Ziel hatte.

Er versagte, dies sei gesagt, an der Sturheit des Bauern, an der Kraft, die auch ihm innewohnt, das Geheimste zu verbergen. Selbst den gierenden Hunden des Boten wurden diese nicht offenbart.

So entließ der Hohepriester den Bauern - jener nicht zuletzt unwissend, dass sein Diener, durch die Hand des Magiers, zum neuen Besitzer des Amuletts erkoren worden war. Die Grausamkeit war perfekt, der Bär in der Falle und der Meister musste lediglich noch warten, dass die Falle ihn erschlägt.

Und wie ich in Ihrem Auftrag die Taten des Hohepriesters niederschreibe, ihn durch die Gassen und die magischen Trassen dieser Welt folge, wird mir bewusst, wie wenig ich weiß, dass ich mich alsbald in der Zelle Reotas wiederfinde. Angekettet, eingeschüchtert, von den Wärtern kontrolliert und erpresst und doch noch fähig, die eigenen Ketten zu lösen, sitzt der Jungbarde dort an die Wand gedrängt, einem Haufen Elend gleich mit sturem Blick und all der Hoffnung, die ihm als einzige blieb.

Für sein Verbrechen sollte er büßen, Monate, dass er erkennt, welch Untat er dem geehrten Bewohner Gilbert Rottingham angetan hat. Sterben sollte er nicht, wenngleich der Zuhälter – ja, geneigte Leser, welch Euphemismus lieg ihnen denn auf den Lippen? – keinen Plan für ihn hegte und bloß eine weitere, noch lebende Leiche im nicht sprichwörtlichen Keller verbarg.

Doch es war ein weiterer Barde, nun Hohepriester des Zirkels, jener Meister des Selbstamüsements, der den Wächter und das Schloss der Zelle brach, sich selbst erniedrigte und mit Reotas gleich stellte.

So wie du nun bist, so war ich einst.

Ja. So wanderte er, der jugendliche Barde, frei durch die Hand des gewachsenen KARhaBs, erneut durch die Gassen Bakaresh, seinen Hund mit einem Notenblatt von seinem ersten Wärter an der Zelle zurückholend, gen eines neuen Lebens, eines, welches die Erfahrungen der dunklen Stadt vergessen mag, doch stets von diesem geprägt ist.


Der Auftrag des Emirs

Kaum dass Vryce gelernt hat, sich in Bakaresh zurecht zu finden, gar schon von seiner Westentasche spricht, wenn ihm diese Stadt auf der Zunge liegt, da hegt Cyrith Ambitionen, die Leitung der Arena zu übenehmen.
So ist es jene Paarung, die sich in diesem Monat dem Emir zum Dienste angedient hat, und bescheidend, das Recht fordert, sich Assassinen nennen zu dürfen, all jenes vorweisend, was sie im Laufe der Zeit erreicht haben. Ihr Clou , der Kopf eines unbekannten Mannes, der, folgen wir den aus ihren Worten entstandenen Gerüchten, gegen die Herrschaft des Emirs gearbeitet hat und somit von den Hunden ohne Auftrag des Assassinenvorstehers selbstredend zur Strecke gebracht worden ist.

Wer kann dem Emir da sein Misstrauen verübeln?

So war es denn, dass sie ein weiteres Mal ihre Treue zu beweisen hatten. Berash, in seiner Weisheit, setzt die selbsterkannten Spürhunde auf jenen Mann an, der zwischen den Rollen seines Leben wie zwischen seine Kleidung wechselt und es mit seiner Treue ähnlich zu handhaben scheint - Candaal.

Was sie fanden, war eine Lehrstunde, wie mächtig der Intellekt des Assassinen Candaal ist. Verkleidet und von jenem Mann in der Goldmünze tatsächlich unerkannt, traten Vryce und Cyrith an ihn heran und verrieten sich durch die närrische Wahl ihrer Worte. Gleichsam naiv folgten sie ihm hinaus in die Gassen, Candaal die Gelegenheit gebend, sie auszuliefern. Er ergriff sie sogleich und so endete der Traum dieser beiden Schatten vom Assassinenrecht während der Flucht vor den Wächtern Kasbah in dem Eingeständnis ihrer eigenen Dummheit.

Wenigstens einen Traum konnte Cyrith sich erfüllen, als er den Emir bat, die Leitung der Arena zu übernehmen. Man darf gespannt sein, was der von ihm initiierte Umbau des Traditionsgebäudes bewirkt und ob er sein ehrgeiziges Ziel, die Arena zur größten und grausamsten der Welt werden zu lassen, erreicht.


Frisch aus dem Kochtopf

Die Geister dieser Zeit, von den Wänden aus Stein nicht aufgehalten, fliegen durch die Sphären der Wüstenstadt und erhaschen Blicke auf jenes Treiben, das den Meisten verborgen bleibt.
So erzählen sie zu dieser späten Stund, von dem ehemaligen Emir, DraconiZ, und seiner Gespielin Vicious, wie sie sich im marmornen Badesaal der Kasbah im dampfenden Wasser quiekend vergnügten, rein wuschen und offenbarten, welch huldvolles an dem ehemaligen Emir ist. So soll er mit bloßer Hand einen Drache erschlagen und aus dessen Herzen das Blut getrunken haben. Reste davon soll er noch immer mit sich herumtragen, gut verwahrt in einem einfachen Trinkschlauch. Ein Schmaus, sicherlich, für jeden Dieb, der etwas aus sich hält, berichten meine Informanten doch, dass der Preis für einen Becher jener roten Kostbarkeit sich jenseits der menschlichen Vorstellung bewegt.

Sei’s drum. Die Sterne müssen sie schon selbst fangen! Aber wundern sie sich nicht, dass sie lediglich gemalt sind,
Ihr malender Berichterstatter aus Bakaresh

(--Ardescion)

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