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World of Gothic



01. Murdra | 02. Das Messer | 03. Rauch im Gebirge | 04. Gerüchte vom Kontinent | 05. Groms Hand | 06. Der hölzerne Wirt | 07. Der Fremde | 08. Der schwarze Krieger | 09. Ped | 10. Nummer drei | 11. Holz auf Stein | 12. Blutnattern | 13. Die Freiwilligen I | 14. Die Freiwilligen II | 15. Zum später zahlen | 16. Tot ist tot | 17. Schuld |




von Hans-Jörg Knabel



Tock. Ta-tock, tock. Tock.
Zweihundertachtundfünfzig Tage. Murdras Kiefer verkrampften sich, dass die Zähne knirschten. Zweihundertachtundfünfzig lange, einsame Tage hatte das Bein geschwiegen. Jetzt klopfte es wieder, aber der Rhythmus war falsch.
Tock. Ta-tock, tock. Tock.


Murdra



»Das Versteck taugt nichts, richtig?« Rauters Stimme hallte durch die finstere Höhle. »Groß genug ist sie ja, aber sie lässt sich nicht halten. Und den Eingang ... Mann, den findet ein Paladin selbst mit geschlossenem Visier.« Murdra konnte Rauters Stimme hören, aber seine Worte rauschten an ihr vorbei wie lose Blätter in einem Herbststurm. Alles, worauf sie achten konnte, war das stete Klopfen von Holz auf Stein.
Tock. Ta-tock, tock. Tock.
»Rauter hat Recht«, brummte Grom, während er weiter durch die Höhle humpelte.
Tock. Ta-tock, tock. Tock.
»Ich will sie nicht halten«, sagte Craglan. »Sobald Lorn in sein Nebelhorn bläst, ziehen wir Waldläufer uns in die Wälder zurück. Ich suche nur einen trockenen, unauffälligen Ort, an dem wir frische Sehnen und Pfeile verstecken können.«
»Und da hast du an Murdras Vorratshöhle gedacht?« fragte Rauter.
Craglan zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Wir stellen unsere Sachen ganz hinten an die Wand und verstecken sie hinter Murdras Vorratskisten.«
Murdra wollte etwas erwidern, aber der Klang des Holzbeins zerstampfte jeden Gedanken, der in ihr aufkeimte.

Tock. Ta-tock, tock. Tock.
Zweihundertachtundfünfzig Tage waren vergangen, seit Murdra Belgors Holzbein zum letzten Mal auf den groben Steinboden des Schankraums hatte klopfen hören. Zweihundertachtundfünfzig Tage hatte sie eisern den Schmerz unterdrückt, hatte Abend für Abend die Gäste bedient, ganz allein, ohne Mann, ohne Belgor. Jetzt hatte Groms Holzbein Murdras Willen mürbe geklopft und ihr die Trauer ins Herz und in die Augen getrieben.
Craglan wischte eine Träne von Murdras Wange, dann legte er ihr die Hand auf die Schulter und lächelte sie aufmunternd an. »Keine Angst, Murdra«, sagte er. »Die Myrtaner werden die Jungfrau nicht angreifen. Wenn du Pech hast, belagern sie ein paar Tage deinen Hof und deinen Schankraum, aber dann werden sie weiterziehen, nach Stewark oder Tooshoo. Wir werden erst zuschlagen, wenn sie weit von deiner Taverne entfernt sind. Das verspreche ich dir.«


Vorratshöhle



Von wegen, Angst, dachte Murdra. Sie verspürte keine Angst, nur Trauer. Sie wollte Craglan anbrüllen, ihm ins Gesicht schreien, dass er ein Dummkopf war, ein elender Idiot, weil er ihr den Krüppel in die Höhle geschleppt hatte, aber der Schmerz, den jedes einzelne Klopfen von Groms Holzbein auf den Steinboden der Höhle mehr und mehr anschwellen ließ, schnürte ihr die Kehle zu und machte ihr den Mund trocken und die Zunge schwer.
Tock. Ta-tock, tock. Tock.
Murdra brachte nur ein kehliges Räuspern hervor – und schwieg. Stattdessen sprach Rauter: »Ihr Waldläufer glaubt wirklich, dass die Myrtaner hier landen, richtig?«
Craglan nahm seine Hand von Murdras Schulter und wandte sich Rauter zu. »Du etwa nicht?«
»Thorniara wurde schon vor einem halben Jahr erobert, und ich hab‘ noch keinen Myrtaner gesehen. Du?«
»Nein«, gab Craglan zu, »aber ich will vorbereitet sein, für den Fall, dass sie kommen.«
Männer, dachte Murdra. Über den Krieg reden, das können sie, aber verstehen tun sie nichts, rein gar nichts! Hetzen mir den Krüppel auf den Hals und lassen ihn auf den Boden klopfen, mit seinem verfluchten Bein! Ihr Schmerz wich rasender Wut, und die Wut löste den Knoten in ihrem Hals.

»Raus!« brüllte Murdra unvermittelt.
Rauter und Craglan verstummten. Alle Blicke waren auf Murdra gerichtet. Das Holzbein schwieg.
»Vorhin wolltest du noch helfen«, sagte Craglan vorsichtig. Rauter und Grom regten sich nicht.
»Konnt‘ ja nicht ahnen, dass du den Krüppel mitbringst«, keifte Murdra und zeigte mit der Hand auf Grom. Welche Wirkung das Wort „Krüppel“ auf einen Mann mit einem Holzbein hatte, wusste Murdra nur zu gut. Die Gäste der Gespaltenen Jungfrau hatten Belgor oft genug damit gequält, und Murdra hatte ihn trösten müssen. Und wer tröstet mich? fragte sie sich.
»Der Krüppel muss raus«, sagte Murdra mit eisiger Stimme.
Grom sagte nichts. Murdra konnte den Schmerz in seinen Augen wachsen sehen. Craglan schaute erst Murdra an, dann Grom und das Holzbein. Er verstand.
»Warte draußen, Grom«, gebot er mit milder Stimme.
Grom zögerte einen Moment, dann stakte er mit trüben Augen und hängenden Schultern an Murdra vorbei.
Tock. Ta-tock, tock. Tock.
Für die Dauer eines Herzschlags spürte Murdra Mitleid in sich aufsteigen, aber sie blieb hart, zumal sie mit jedem Schritt, den Grom machte, das Klopfen aufs Neue vernahm. »Verschwinde!« rief sie ihm nach, als er den Höhlenausgang fast erreicht hatte. Grom humpelte weiter, in den Nebel hinein, der von draußen in die Höhle wallte.
Tock. Ta-tock.


Die Gespaltene Jungfrau



Grom verharrte mitten in der Bewegung. Ein tiefer, klagender Ton hallte vom Meer her zur Höhle herauf.
Lorns Horn! Murdra erkannte es sofort.
Craglan warf seine Fackel auf den Boden. »Löscht die Fackeln!« befahl er, während er mit seinen schweren Stiefeln das Feuer erstickte. Bald darauf war Murdra von Dunkelheit umgeben.
»Was ist mit den Vorräten?« hörte sie Grom fragen.
»Vergiss die Vorräte«, sagte Craglan noch ganz in der Nähe von Murdra, aber er entfernte sich, in Richtung Höhlenausgang. »Jilvie soll zum Strand runter. Ich muss wissen, wie viele es sind. Alle anderen packen, was sie tragen können. Wir ziehen uns in die Wälder zurück.«
Wieder hallte Lorns Nebelhorn zur Höhle herauf.

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