
mit Michael Rüve (Geschäftsführer von Piranha Bytes)
JoWooD-Themenwoche - heute Start der Serie: Piranha Bytes über die Zukunft von Gothic
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Auf den Seiten des Computerspiel-Magazins PC Games erschien dieses Interview am 18.05.2011.
Da es seit langem nicht mehr online aufrufbar ist, haben wir das Interview bei World of Gothic eingegliedert, um es zu erhalten und weiterhin für jeden Interessierten abrufbar zu machen. |
Ergänzend zur JoWooD-Reportage veröffentlichen wir ab heute täglich ein neues Interview mit Leuten, die es wissen müssen: Persönlichkeiten, die seit Jahrzehnten dabei sind. Insbesondere wird es auch um die Frage gehen, wie es mit Gothic, Arcania & Co. weitergeht. Freut euch auf interessante Blicke hinter die Kulissen des österreichischen Publishers, der mit Titeln wie Gothic 2, Gothic 3, Spellforce, Industriegigant und Die Gilde Spielegeschichte geschrieben hat.
PC Games: Michael, das Schicksal von Piranha Bytes ist eng mit JoWooD verknüpft. Der Clinch mit Entwicklern wie euch wurde zwangsläufig recht öffentlich ausgetragen. Jetzt kam das endgültige Aus für JoWooD. Würdest du die These unterschreiben, dass sich JoWooD mehr mit sich selbst beschäftigt hat als mit der Entwicklung von Spielen?
Rüve: Ich selbst habe im Laufe unserer Zusammenarbeit mit JoWooD - also von 2002 bis 2007 - mit sechs verschiedenen Vorständen zu tun gehabt. Umgerechnet also jedes Jahr ein neuer. Jeder von ihnen hatte naturgemäß auch unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Strategie seiner Firma auszusehen hat. Und wer schon einmal in einer größeren Firma gearbeitet hat, in dem das Wort "Restrukturierung" oder auch "Strategiewechsel" von der Geschäftsleitung ausgegeben wurde, weiß, wie viele Ressourcen das bindet, die dann im Tagesgeschäft nicht mehr zur Verfügung stehen. Dass man dort in der Zeit dann obendrein mehrfach mit erheblichen finanziellen Problemen zu kämpfen hatte, hat die Sache auch nicht vereinfacht.
PC Games: Dein Kollege Michael Hoge meinte in einem Anfang Mai veröffentlichten Interview zu Gothic 3, das Ganze sei eskaliert, als "der Publisher uns dazu gezwungen hat, Gothic 3 zu veröffentlichen, bevor wir es fertig hatten." Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen und warum habt ihr euch nicht einfach geweigert, das Spiel in dieser Form auf den Markt zu bringen?
Rüve: Als Entwickler ist man praktisch immer mit der Entwicklung beauftragt – typischerweise vom Publisher. Das Produkt "gehört" also dann grundsätzlich auch dem Auftraggeber. Wenn der beschließt, dass es nun gut ist und veröffentlichen will, hat man als Entwickler keine Handhabe, es sei denn, man wäre bereit einen Vertragsbruch mit all seinen üblen Konsequenzen zu begehen. Was dann passieren kann und mit Sicherheit dann auch passiert wäre, haben wir im Jahr 2007 gesehen. Da flatterte absolut unerwartet ein Antrag auf einstweilige Verfügung gegen uns ins Haus. Pikanterweise nicht nur gegen unsere Firma, was alleine schlimm genug sein kann, sondern gleich auch noch gegen Michael Hoge und mich als Privatpersonen. Dieses Verfahren haben wir gewonnen – bei einem auf die vertragswidrige Verweigerung einer Herausgabe des Produktes folgenden Prozess hätte das aber mit Sicherheit anders ausgesehen.
PC Games: Wie erklärst du dir die enorme Leidensfähigkeit der Gothic-Fans, die auch den dritten Teil trotz der vielen Probleme fast schon abgöttisch verehren, mehrfach zum "Spiel des Jahres" gewählt und sogar in Eigenregie Patches entwickelt haben?
Rüve: Es war anscheinend doch nicht so schlecht, wie es gemacht wurde. Jemand hat Gothic 3 einmal im Hinblick auf die Technik als "ungeschliffenen Rohdiamanten" bezeichnet. Das haben wohl auch andere so gesehen und sich mit Schleifwerkzeugen darüber hergemacht. Es ist ganz erstaunlich, was trotz der widrigen Umstände noch geschafft wurde.
PC Games: JoWooD und Piranha Bytes wurde ja von den eigenen Fans zuweilen recht heftig kritisiert. Gab es Momente, in denen ihr euch zu Unrecht an den Pranger gestellt saht?
Rüve: In Einzelfällen ja. Aber das waren dann auch die überall mal auftretenden Einzelmeinungen. Im Allgemeinen aber eben nicht. Wir sind keine Heiligen. Aber ist es nicht letztendlich für die Erschaffer eines Werks allemal besser, wenn berechtigte Kritik daran geübt wird, als wenn sich schlicht kein Mensch dafür interessiert?
PC Games: Die Rechte an der Marke "Gothic" fallen nach der Fertigstellung von Risen 2 an euch zurück. Ihr habt doch sicher schon ungefähre Pläne für die Zeit nach diesem Tag X – wie sehen diese aus?
Rüve: Natürlich gibt es dazu grundsätzliche Überlegungen – aber nichts Konkretes, was wir zum jetzigen Zeitpunkt öffentlich machen möchten. Aktuell sind wir mit den Arbeiten an Risen 2 auch gut ausgelastet – als Team von etwas mehr als 20 Mann stemmt man nicht mal so eben mehrere Großprojekte gleichzeitig. Damit würden wir uns nur heillos verzetteln.
PC Games: Angenommen, ihr hättet nochmal die Möglichkeit, einen Tag oder eine Woche an Gothic 3 zu arbeiten. Was wäre eure erste Amtshandlung?
Rüve: Es sein zu lassen. Die letzten Arbeiten an dem Produkt haben wir 2007 vorgenommen. Danach haben noch andere daran gearbeitet – ohne dass wir ihre Arbeit intern kennen würden. Das ist nun über vier Jahre her. Alleine die Zeit die gebraucht würde, um sich wieder in die Thematik zurückzufinden, würde die Woche – wahrscheinlich sogar mehr als das – restlos auffressen. Das Spiel ist jetzt so, wie es ist. Die Fangemeinschaft hat noch viele Verbesserungen vorgenommen, die nun auch zur Verfügung stehen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist es m.E. schlechter, als es ist – es liegt in der Natur der Sache, dass über Schwächen mehr und länger geredet wird als über Stärken. Ein Gothic 1 oder 2 würde es nie werden – und das sollte es auch nie! Auch wenn die Hardcore-Fan-Fraktion von Gothic 1 und 2 das nicht so gerne hört – es gibt auch eine Menge Leute, denen Gothic 3 besser gefallen hat als Gothic 1 oder 2.
geschrieben von Petra Fröhlich