
mit Hans Schilcher (Gründer und ehemaliger Entwicklungsvorstand von JoWooD sowie Spieldesigner (Der Industriegigant, Der Verkehrsgigant))
JoWooD-Themenwoche - Tag 5: JoWooD-Gründer Hans Schilcher "Völlig überzogene Erwartungen"
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Auf den Seiten des Computerspiel-Magazins PC Games erschien dieses Interview am 22.05.2011.
Da es seit langem nicht mehr online aufrufbar ist, haben wir das Interview bei World of Gothic eingegliedert, um es zu erhalten und weiterhin für jeden Interessierten abrufbar zu machen. |
Ergänzend zur JoWooD-Reportage veröffentlichen wir seit Mittwoch täglich ein neues Interview mit Leuten, die es wissen müssen: Persönlichkeiten, die seit Jahrzehnten dabei sind. Insbesondere wird es auch um die Frage gehen, wie es mit Gothic, Arcania & Co. weitergeht. Freut euch auf interessante Blicke hinter die Kulissen des österreichischen Publishers, der mit Titeln wie Gothic 2, Gothic 3, Spellforce, Industriegigant und Die Gilde Spielegeschichte geschrieben hat.
PC Games: Hans, du bist einer der Gründer von JoWooD und 2002 von deinem Vorstandsposten zurückgetreten. Danach hast du bis 2005 das Studio Ebensee geleitet und seinerzeit extrem erfolgreiche Aufbauspiele wie Industriegigant, Verkehrsgigant und Transportgigant entwickelt. Kurzum gefragt: Wie geht's dir und was machst du heute?
Schilcher: Mir geht es ganz gut. Abgesehen davon, dass mich die Aussicht auf die nächste Geburtstagsfeier doch ein wenig erschreckt und Gedanken wie "Ich? Das muss ein gewaltiger Irrtum sein!" hervorbringt. Derzeit bin ich Art Director bei "Österreichs bestem Magazin für Musik & Popkultur". Ein spannender Job bei einem Medienkleinstverlag, der Monat für Monat vor neue Herausforderungen ("Wir haben leider nur dieses eine Bild") stellt. Zusätzlich habe ich die Homepage der Zeitschrift programmiert und bin für den Internetauftritt verantwortlich. Fast ein wenig wie in den Anfangszeiten, als man vieles noch einfach selbst gemacht hat.
PC Games: Was hat JoWooD letzten Endes aus deiner Sicht das Genick gebrochen?
Schilcher: Das Genick hat schon sehr früh angefangen bedenklich zu knirschen. Spätestens mit dem Börsengang und den implizierten völlig überzogenen Erwartungen wäre jemand nötig gewesen, der eine orthopädische Stütze verordnet hätte. Sprich, den Aktionären ungeachtet der Auswirkungen auf den Aktienkurs reinen Wein einzuschenken und die realen Möglichkeiten aufzuzeigen. Da das nicht passiert ist und in der Welt der Aktien auch nicht passieren darf, sind wir von Beginn an völlig atemlos und eigentlich auch chancenlos den von außen gestellten Anforderungen nachgehechelt. Eine wirtschaftlich gesunde Entwicklung war praktisch nicht mehr möglich. Mit der aufgezwungenen ersten Krise begann sich das Hamsterrad immer schneller zu drehen. Auch hier wurde die Chance für eine gesunde Neuaufstellung und Zukunftsorientierung verpasst. Das Schicksal der Firma wurde immer mehr von Leuten bestimmt, die keine Ahnung von der Branche hatten und leider auch keinerlei Fähigkeiten besaßen ein Konglomerat kreativen Potenzials in wirtschaftlich ertragreiche Bahnen zu lenken. Vom in der Kreativbranche notwendigen menschlichen Miteinander gar nicht zu sprechen. Die Situation lässt sich vielleicht am besten mit der geflüsterten Frage eines Entwicklerkollegen bei einem Studioleitermeeting darstellen: "Sind wir hier Grundschüler oder Entwickler?"
Letztendlich kam es zu einem fortwährenden Kampfszenario, in dem Selbstdarstellung, Eigenvermarktung und selbstredend auch Nach-dem-Mund-reden mehr zählten und erfolgreicher waren als wirkliche Leistung. Dies ging so weit, dass persönliche Antipathien gnadenlos und entgegen aller wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit ausgetragen wurden. Rückbesinnung und Konzentration auf die eigentlichen Kernkompetenzen war nicht erwünscht. Krampfhaft wurde nach "Visionen" gesucht, die den taumelnden Aktienkurs wieder in eine straffe Aufwärtsbewegung führen sollten. Diversifikation, Konsolen und Online-Spiele waren die Zauberwörter und wurden als "die Zeichen der Zeit" verkauft. Einwände, dass dies mit unseren nunmehr doch sehr beschränkten Möglichkeiten nur schwer machbar wäre und wir im Zug der Zeit bestenfalls noch Passagiere sein würden, wurden lapidar als old fashioned und engstirnig abgetan.
Im Gegenzug wurde die bis dato geldbringende Entwicklung ausgeblutet und eigentlich notwendige Aktivitäten, wie Verbesserung der Vertriebswege, nur halbherzig betrieben. Es wurde schlicht nicht erkannt, dass man versuchte, sich in neue Bereiche anzusiedeln, die bereits von anderen sehr gut belegt waren, und dafür jedoch Nischen mehr oder minder kampflos aufgab, die teilweise bereits von uns besetzt waren und noch Ausbaupotenzial hatten.
Damit wurde die Firma immer mehr von Glückstreffern abhängig und die Zeitvorgaben für Releases zwangsläufig immer unrealistischer. Entwickler wurden in Zeitpläne gedrängt, die sie mangels Alternativen und wider besseres Wissen zähneknirschend schlucken mussten. Oder Entwickler präsentierten Zeitpläne, die von vornherein nach den Wünschen des Publishers und nicht nach den eigenen Möglichkeiten ausgerichtet waren. Die Folgen sind hinlänglich bekannt, der Ruf nachhaltig ruiniert.
Die Entscheidung, auf Eigenentwicklung komplett zu verzichten und nur mehr als Publisher zu fungieren, war schließlich nur mehr ein abschließendes Randphänomen, das ein elend langes Dahinsiechen erfolgreich eingeleitet hat. Man hätte nicht nur das Firmenlogo "modernisieren" sollen, sondern auch den Firmennamen ändern. Denn letztlich war JoWooD bereits lange klinisch tot und von der ursprünglichen Firma nichts mehr zu sehen.
PC Games: Der Clinch mit Entwicklern, Studios und Publishern wurde zwangsläufig recht öffentlich ausgetragen. Würdest du die These unterschreiben, dass sich JoWooD mehr mit sich selbst beschäftigt hat als mit der Entwicklung von Spielen?
Schilcher: Kann ich unterschreiben. Wie bereits angesprochen, waren die führenden Leute und auch der Mittelbau mehr mit sich selbst als mit den jeweiligen Projekten beschäftigt. Seilschaften mussten ausgebaut und der eigene Glorienschein poliert werden. Wobei hier sicherlich nicht nur die Publishing-Menschen die "Bösen" waren. Im Endeffekt ist es schlicht nicht gelungen, viele Kreative unter einer Dachmarke zu versammeln. Die Ansätze waren da, aber so wirklich wollte niemand vom eigenen Ding lassen. Aber wahrscheinlich war dies unter den gegebenen Rahmenbedingungen auch gar nicht möglich. In Summe hat hier wohl keiner dem anderen etwas vorzuwerfen. Denn die Querelen wurden gerne von beiden Seiten in die Öffentlichkeit getragen.
PC Games: An welchen Moment deiner Arbeit für JoWooD denkst du am liebsten zurück? Welche Zeit möchtest du nicht missen (und warum)?
Schilcher: Als der PC-Games-Test von Industriegigant aus dem Fax getrudelt ist und wir eine halbe Stunde davor standen wie vor einer gefährlichen Schlange, der man sich besser nicht nähert, und es sich dann als überaus freundliche Kritik herausgestellt hat. Ungelogen an viele nette und lustige Begegnungen mit FachjournalistInnen (ich habe vor allem Studiobesuche trotz aller Nervosität immer sehr gemocht), EntwicklerkollegInnen und vielen anderen aus der Branche. Missen möchte ich vor allem die Zeit vor dem Börsengang nicht. Eine Zeit der Aufbruchsstimmung und der ungestörten kreativen Arbeit. Und trotz aller Schwierig- und Widrigkeiten sind es nur wenige Stunden der Arbeit im Studio Ebensee, über die ich das Mäntelchen des Vergessens werfen würde. Eine Zeit des Zusammenseins und Zusammenarbeitens, an die ich gerne zurückdenke, und so manche Menschen, die mir heute noch abgehen.
PC Games: Egal, ob Die Gilde, Cultures, Patrizier oder Die Siedler: Immer mehr klassische Aufbauspiele werden als Browsergame wieder aufgelegt und sind sehr erfolgreich. Packt dich da nicht die Lust, noch mal zur Tastatur zu greifen und einen deiner Titel als Online-Spiel zu realisieren?
Schilcher: Ja, ich denke inzwischen wieder daran und bin am Grübeln und Tüfteln. Wobei mir eine klassische, aber zeitgemäße Neuauflage wahrscheinlich noch mehr Spaß machen würde. Spätestens seit "Cities in Motion".
geschrieben von Petra Fröhlich